Alle in einem Boot im Ruderverein Esslingen

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Bericht von Jutta Holl im Winter Postmichel-Brief 2022

Eine „Sorgende Gemeinschaft“ ist ein fürsorgendes Netzwerk in einem Stadtteil, Dorf oder Quartier, in der jeder Mensch Verantwortung übernimmt und übernehmen kann. Ob der Gedanke des füreinanderda sein auch im Vereinsleben funktionieren kann, habe ich in meinem Gespräch mit Melanie Schröer und Frank Maschkiwitz, Vorstandsmitglieder des Rudervereins Esslingen, thematisiert.
Zuerst fällt es den beiden Vorstandsmitgliedern etwas schwer, das Thema auf ihr Vereinsleben umzudenken. Eigentlich sitzen Jugendliche und ältere Vereinsmitglieder nicht in einem Boot. Das liegt darin begründet, dass die Jugendlichen für Wettkämpfe trainieren, die älteren Vereinsmitglieder mittlerweile Rudern als ausgleichendes Hobby nutzen und nicht mehr als Leistungssport. Im Laufe des Gesprächs merken wir aber, dass es doch mehr Berührungspunkte innerhalb des Vereinslebens gibt, als wir erwartet hatten - die Mitglieder sitzen also im übertragenen Sinne häufig doch in einem Boot.
So gibt es im Jahresablauf immer wieder Veranstaltungen, bei denen alle Mitglieder, egal welches Alter sie haben, füreinander da sind.

Beispielsweise fahren die nicht mehr aktiven Vereinsmitglieder zu Ruderregatten um „ihre“ Mannschaft anzufeuern und freuen sich mit den „Jungen“ über jeden Erfolg oder muntern die Sportler:innen auf, wenn es einmal nicht so gut läuft. Laut Melanie Schröer möchten die Senior:innen, dass die Ruderjugend von heute das gleiche Gemeinschaftsgefühl erfährt, wie sie es damals schon hatten. Ein „zweites zuhause“ sozusagen. So ist es für viele nicht mehr aktive Mitglieder auch undenkbar aus demV erein auszutreten, nur weil sie nicht mehr rudern können. Frank Maschkiwitz berichtet, dass es einige Ü70 Mitglieder gibt, die nicht mehr rudern können, aber regelmäßig nach der Trainingseinheit der noch Aktiven in den Verein kommen und sich zum Essen und Unterhalten dazu gesellen. So nehmen sie weiterhin Teil am Vereinsleben und sind sozial integriert. Auch beim zweimal im Jahr stattfindenden Arbeitsdienst schaffen Alt und Jung Hand in Hand für den Verein. Es werden Teams mit erfahrenen und unerfahrenen Mitgliedern gebildet. Ziel ist es, das Vereinsgelände und Bootshaus gemeinsam in gutem Zustand zu halten. Beim An- und Abrudern werden im Frühjahr zu Saisonbeginn und im Herbst, zum Abschluss, gemischte Boote gebildet. Gemeinsam wird die Ausfahrt für alle zu einem schönen Erlebnis.

Auch bei Wanderfahrten gibt es gemischte Boote. Über mehrere Tage sitzen die Teilnehmer, egal wiealt, gemeinsam in einem Boot. Hier wird besonders auf das fürsorgliche Miteinander geachtet. "Dereine kann noch alles und ein anderer kann zwar noch gut im Boot sitzen und rudern, hat aber beim Ein- und Aussteigen Schwierigkeiten“ so Frank Maschkiwitz, „da wird dann eben geholfen, damit es für jeden Teilnehmer eine schöne Ausfahrt wird.“

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Zudem gibt es immer wieder Spenden für die Rennruderabteilung, wenn wichtige Ausrüstungsgegenstände für die Boote fehlen. Die Vereinsmitglieder, die sich selber nicht mehr bei Wettkämpfen messen, möchten für die aktive Ruderjugend da sein und sie unterstützen, damit sie mit guter Ausrüstung erfolgreiche Rennen fahren können. Im Gegenzug gab es zu Beginn der Coronapandemie das Angebot der Jugendlichen, für die älteren Vereinsmitglieder einkaufen zu gehen.
Auch die Ruderjugend sorgt untereinander füreinander. Bei Regatten helfen die alten Junioren, den Anfängern. Sie kommen schon früh zum Aufbau, helfen Boote abladen, obwohl sie eigentlich selber erst am Mittag ihren ersten Start haben und ausschlafen könnten, sind sie bereits um 6:00 Uhr auf den Beinen, um einen guten Regattatag für alle zu ermöglichen. Dafür helfen dann die jüngeren Rennruderer bei Dingen wie Schuhe zum Steg bringen und Skull (Ruder) tragen. Und natürlich beim Anfeuern!
Insgesamt hat der Ruderverein Esslingen 183 Vereinsmitglieder zwischen 10 – 99 Jahren. Davon sind 60 Personen 60 Jahre und älter. Es gibt ca. 80 passive Mitglieder, die aber trotzdem noch am Vereinsleben teilnehmen und sich beispielsweise im Ehrenrat engagieren. Dieser wird bei strittigen Fragen unter den Mitgliedern zu Rate gezogen. Die Erfahrung der alten Rudergeneration ist hier oft eine Hilfe.

Mein Resümee aus dem wirklich informativen Gespräch ist, „Sorgende Gemeinschaft“ in Vereinen kann tatsächlich gelingen. Voraussetzung hierfür ist eine Kinder- und Jugendabteilung, die von den älteren Mitgliedern als gleichwertig und gleichberechtigt anerkannt wird sowie Möglichkeiten der Teilhabe am Vereinsleben in allen Lebensphasen, egal wie alt oder wie fit das Vereinsmitglied ist.